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5300 Jahre Schrift
Universität Heidelberg: Sonderforschungsbereich 933 der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Materiale Textkulturen. Materialität und Präsenz des Geschriebenen in non-typographischen Gesellschaften
& Heidelberg Center for Cultural Heritage – HCCH
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Sonderforschungsbereich 933 der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Materiale Textkulturen & Heidelberg Center for Cultural Heritage – HCCH
 

Ein Sarkophag aus Tyros

Kommunikation durch spätantike Grabinschriften (zweite Hälfte des 4. Jhs. n. Chr.)

von Jon Cosme Cubas Díaz  (Byzantinische Archäologie und Kunstgeschichte)

 
Sarkophag aus prokonnesischem Marmor

(Länge: 228 cm, Breite: 116 cm, Höhe: 182 cm) mit griechischen Inschrift(en) und einer vollplastischen Darstellung des Verstorbenen auf dem Deckel. Gefunden in der byzantinischen Nekropole von Tyros (Libanon); dort noch heute in situ (Nr. 217/18). Datierung (der Erstverwendung): Zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr.

 
zum Autor

Jon Cosme Cubas Díaz ist seit 2015 wissen­schaftlicher Mitarbeiter im Teilprojekt A01 UP2 »Spätantike Inschriftenkulturen im Imperium Romanum — zum Wandel von Kommunikationsstrukturen und Kommemorationsmedien am Ende der Antike (3.–7. Jh.)« des SFB 933. Er arbeitet an einer Dissertation zum Thema »Die spätantiken Nekropolen des Rauen Kilikien. Geschriebenes und Beschriftetes in sepulkralen Kontexten«.

 

Artikel als PDF

Noch heute zeugt die spätantike Nekropole von Tyros (im heutigen Libanon) von dem Wohlstand, den die schon in phönizischer Zeit bedeutende Hafenstadt auch in der Spätphase der römischen Herrschaft genoss. In Sarkophagen aus kostbarem Marmor traten viele wohlhabende Bürger der Stadt ihre letzte Reise ins Jenseits an. Am häufigsten waren dabei relativ schlicht gestaltete Giebelsarkophage, doch auch aufwändigere Stücke sind in Tyros zu finden. Sie standen entlang einer antiken Straße unter freiem Himmel. Auf der hier gezeigten Abbildung ist eines der prächtigsten Exemplare zu sehen. Es zeigt den Verstorbenen als vollplastische Skulptur auf dem Deckel wie auf einer ›Kline‹ (Ruheliege) liegend. In Tunika und Toga gekleidet stützt er sich mit halb aufgerichtetem Oberkörper auf seinen linken Arm und hält eine Schriftrolle in der Hand. Der rechte Arm ist parallel zum Körper geführt und liegt auf dem Knie auf; in der rechten Hand befindet sich eine Kette. Der Sarkophagkasten aus prokonnesischem Marmor ist an der Frontseite mit einem Riefelmuster verziert.

Die Beisetzung in Sarkophagen war in der hohen Kaiserzeit (also im späteren 2. und 3. Jahrhundert n. Chr.) zu einer gängigen Bestattungsform geworden, die im gesamten Römischen Reich Verbreitung fand und sich auch während der Spät­antike im Mittelmeerraum großer Beliebtheit erfreute. Der Einsatz kostbarer Materialien sowie die Entwicklung vielfältiger Gestaltungsformen bei der Herstellung von Sarkophagen waren die Folge. In Zentren der Sarkophagproduktion wie in Rom oder in Athen wurden die Kästen oftmals mit aufwändigen Reliefs geschmückt, die mythologische Erzählungen oder Szenen aus dem Leben des Verstorbenen wiedergaben. Diese sollten nicht allein der prachtvollen Ausstattung der letzten Ruhestätte dienen, sondern vielmehr auch Informationen vermitteln, etwa darüber, was für ein Mensch der Verstorbene gewesen war oder wie die Hinterbliebenen mit seinem Ableben umgingen. Bei unserem Beispiel aus Tyros, welches als freistehendes Artefakt von einer großen Zahl von Besuchern in der Nekropole betrachtet werden konnte, fehlen zwar derartige szenische Reliefs, doch hatte das vollplastische Porträt des Verstorbenen auf dem Deckel eine ähnliche Aussagekraft. Seine Kleidung weist den Dargestellten als ein wohlhabendes Mitglied der lokalen Elite von Tyros aus; die Schriftrolle in seiner Hand zeugt zudem von dem überall in der griechisch-römischen Welt gepflegten Bildungsideal.

Neben bildlichen Darstellungen stellten Inschriften auf den Steinsärgen eine weitere Möglichkeit dar, Botschaften zu übermitteln. In der bisherigen altertumswissenschaftlichen Forschung ist jedoch das Geschriebene zumeist losgelöst von seinen Trägerobjekten studiert worden. Für das Gesamtverständnis eines beschriebenen Artefaktes ist es jedoch unerlässlich, Schrift und Schriftträger als ein Ganzes zu behandeln, wie auch bei der Auseinandersetzung mit unserem Sarkophag deutlich wird. Die Anbringung von Inschriften an funerären Denkmälern war in der griechisch-römischen Welt weit verbreitet. Solche ›Grabinschriften‹ lieferten in erster Linie Angaben zu dem Verstorbenen und seinen Angehörigen — so wie im Falle der inschriftlich festgehaltenen Nachnutzung des hier betrachteten Sarkophags durch Elious, eine Frau, die im 5. oder 6. Jahrhundert n. Chr. sekundär in diesem bestattet worden sein dürfte. Die Inschriften konnten aber ebenso Jenseitsvorstellungen, Wünsche der Hinterbliebenen oder Anrufungen an höhere Mächte zum Ausdruck bringen und dienten somit als facettenreiche Kommunikationsplattform zwischen Diesseits und Jenseits.

Auch der langfristigen Erhaltung der Ruhestätten wurde eine große Bedeutung zugesprochen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass an den Grabmälern nicht selten Strafen für diverse Vergehen, wie etwa deren Beschädigung, Beschmutzung oder unerlaubte Wiederverwendung, schriftlich fixiert wurden. Das galt insbesondere für den Grabraub, einem bereits in der Antike weit­verbreiteten Phänomen. Der Gedanke an eine mögliche Ausraubung seiner letzten Ruhestätte scheint auch den ursprünglichen Besitzer unseres Sarkophags aus Tyros umgetrieben zu haben, der im späteren 4. Jahrhundert n. Chr. in diesem beigesetzt wurde. Die griechische Inschrift, welche auf der Front des Deckels unterhalb der plastischen Darstellung des Bestatteten angebracht ist, enthält nämlich keinerlei Informationen über den Grabinhaber, sondern wendet sich direkt an potentielle Grabräuber und spricht diese an:

»Vergebens! Du vermagst es nicht zu öffnen«
(Εἰκῇ • οὐ δύνῃ ἀνῦξε).

Eine solche Anrede hat Seltenheitscharakter, sieht sie doch von jeglichen Drohungen ab und nennt keinerlei Strafen. Sie unternimmt lediglich den Versuch, den imaginierten Plünderer kurz und prägnant über die Unmöglichkeit seines Vorhabens aufzuklären. Das kann durchaus als Appell verstanden werden, der den Leser regelrecht herausforderte — einen Betrachter, der gleichzeitig mit dem auf dem Sarkophagdeckel ruhenden Porträt des hier bestatteten Mannes konfrontiert wurde, welcher somit als ›Sprecher‹ der in der Inschrift präsentierten Botschaft aufzufassen ist. Die schiere materielle Mächtigkeit des marmornen Deckels mag dieser Aussage zusätzlich einiges an Glaubwürdigkeit verschafft haben.

Eine letzte Bedeutungsebene, die ihr Verfasser sicher nicht eingeplant oder gar erwünscht haben dürfte, erhält die Inschrift durch den heutigen Zustand des Sarkophags. Unmittelbar unterhalb der Grabinschrift klafft nämlich ein Loch in dem Kasten, über welches sich augenscheinlich ein Grabräuber Zugang zu dem Inneren des Sarkophags verschafft hat. Trotz aller vom Grabinhaber zur Schau gestellten Selbstsicherheit hat also ein antiker Zeitgenosse die in der Inschrift ausgesprochene Herausforderung angenommen, das vermeintlich Unmögliche möglich gemacht und den Sarkophag erfolgreich geöffnet!

 

 
Literatur

Chehab, Maurice H. (1984–1986), Fouilles de Tyr – la nécropole. Description des fouilles 2–4 (Bulletin du Musée de Beyrouth 34–36), Paris.

Jidejian, Nina (1969), Tyre Through the Ages, Beirut.

Rey-Coquais, Jean-Paul (1977), Inscriptions grecques et latines découvertes dans les fouilles de Tyr (1963–1974) I: Inscriptions de la nécropole (Bulletin du Musée de Beyrouth 29), Paris, 12–13 Nr. 17A–B.

Weitere Verweise

Abbildungshinweis

Titelbild: Nina Jidejian (1969), Tyre Through the Ages, Beirut, 222.

 
  Wunderhorn Verlag Sonderforschungsbereich Materiale Textkulturen der Deutschen Forschungsgemeinschaft Universität Heidelberg  

Ein Sarkophag aus Tyros

Kommunikation durch spätantike Grabinschriften (zweite Hälfte des 4. Jhs. n. Chr.)

von Jon Cosme Cubas Díaz  (Byzantinische Archäologie und Kunstgeschichte)

Sarkophag aus prokonnesischem Marmor

(Länge: 228 cm, Breite: 116 cm, Höhe: 182 cm) mit griechischen Inschrift(en) und einer vollplastischen Darstellung des Verstorbenen auf dem Deckel. Gefunden in der byzantinischen Nekropole von Tyros (Libanon); dort noch heute in situ (Nr. 217/18). Datierung (der Erstverwendung): Zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr.

Titelbild: Nina Jidejian (1969), Tyre Through the Ages, Beirut, 222.

Noch heute zeugt die spätantike Nekropole von Tyros (im heutigen Libanon) von dem Wohlstand, den die schon in phönizischer Zeit bedeutende Hafenstadt auch in der Spätphase der römischen Herrschaft genoss. In Sarkophagen aus kostbarem Marmor traten viele wohlhabende Bürger der Stadt ihre letzte Reise ins Jenseits an. Am häufigsten waren dabei relativ schlicht gestaltete Giebelsarkophage, doch auch aufwändigere Stücke sind in Tyros zu finden. Sie standen entlang einer antiken Straße unter freiem Himmel. Auf der hier gezeigten Abbildung ist eines der prächtigsten Exemplare zu sehen. Es zeigt den Verstorbenen als vollplastische Skulptur auf dem Deckel wie auf einer ›Kline‹ (Ruheliege) liegend. In Tunika und Toga gekleidet stützt er sich mit halb aufgerichtetem Oberkörper auf seinen linken Arm und hält eine Schriftrolle in der Hand. Der rechte Arm ist parallel zum Körper geführt und liegt auf dem Knie auf; in der rechten Hand befindet sich eine Kette. Der Sarkophagkasten aus prokonnesischem Marmor ist an der Frontseite mit einem Riefelmuster verziert.

Die Beisetzung in Sarkophagen war in der hohen Kaiserzeit (also im späteren 2. und 3. Jahrhundert n. Chr.) zu einer gängigen Bestattungsform geworden, die im gesamten Römischen Reich Verbreitung fand und sich auch während der Spät­antike im Mittelmeerraum großer Beliebtheit erfreute. Der Einsatz kostbarer Materialien sowie die Entwicklung vielfältiger Gestaltungsformen bei der Herstellung von Sarkophagen waren die Folge. In Zentren der Sarkophagproduktion wie in Rom oder in Athen wurden die Kästen oftmals mit aufwändigen Reliefs geschmückt, die mythologische Erzählungen oder Szenen aus dem Leben des Verstorbenen wiedergaben. Diese sollten nicht allein der prachtvollen Ausstattung der letzten Ruhestätte dienen, sondern vielmehr auch Informationen vermitteln, etwa darüber, was für ein Mensch der Verstorbene gewesen war oder wie die Hinterbliebenen mit seinem Ableben umgingen. Bei unserem Beispiel aus Tyros, welches als freistehendes Artefakt von einer großen Zahl von Besuchern in der Nekropole betrachtet werden konnte, fehlen zwar derartige szenische Reliefs, doch hatte das vollplastische Porträt des Verstorbenen auf dem Deckel eine ähnliche Aussagekraft. Seine Kleidung weist den Dargestellten als ein wohlhabendes Mitglied der lokalen Elite von Tyros aus; die Schriftrolle in seiner Hand zeugt zudem von dem überall in der griechisch-römischen Welt gepflegten Bildungsideal.

Neben bildlichen Darstellungen stellten Inschriften auf den Steinsärgen eine weitere Möglichkeit dar, Botschaften zu übermitteln. In der bisherigen altertumswissenschaftlichen Forschung ist jedoch das Geschriebene zumeist losgelöst von seinen Trägerobjekten studiert worden. Für das Gesamtverständnis eines beschriebenen Artefaktes ist es jedoch unerlässlich, Schrift und Schriftträger als ein Ganzes zu behandeln, wie auch bei der Auseinandersetzung mit unserem Sarkophag deutlich wird. Die Anbringung von Inschriften an funerären Denkmälern war in der griechisch-römischen Welt weit verbreitet. Solche ›Grabinschriften‹ lieferten in erster Linie Angaben zu dem Verstorbenen und seinen Angehörigen — so wie im Falle der inschriftlich festgehaltenen Nachnutzung des hier betrachteten Sarkophags durch Elious, eine Frau, die im 5. oder 6. Jahrhundert n. Chr. sekundär in diesem bestattet worden sein dürfte. Die Inschriften konnten aber ebenso Jenseitsvorstellungen, Wünsche der Hinterbliebenen oder Anrufungen an höhere Mächte zum Ausdruck bringen und dienten somit als facettenreiche Kommunikationsplattform zwischen Diesseits und Jenseits.

Auch der langfristigen Erhaltung der Ruhestätten wurde eine große Bedeutung zugesprochen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass an den Grabmälern nicht selten Strafen für diverse Vergehen, wie etwa deren Beschädigung, Beschmutzung oder unerlaubte Wiederverwendung, schriftlich fixiert wurden. Das galt insbesondere für den Grabraub, einem bereits in der Antike weit­verbreiteten Phänomen. Der Gedanke an eine mögliche Ausraubung seiner letzten Ruhestätte scheint auch den ursprünglichen Besitzer unseres Sarkophags aus Tyros umgetrieben zu haben, der im späteren 4. Jahrhundert n. Chr. in diesem beigesetzt wurde. Die griechische Inschrift, welche auf der Front des Deckels unterhalb der plastischen Darstellung des Bestatteten angebracht ist, enthält nämlich keinerlei Informationen über den Grabinhaber, sondern wendet sich direkt an potentielle Grabräuber und spricht diese an:

»Vergebens! Du vermagst es nicht zu öffnen«
(Εἰκῇ • οὐ δύνῃ ἀνῦξε).

Eine solche Anrede hat Seltenheitscharakter, sieht sie doch von jeglichen Drohungen ab und nennt keinerlei Strafen. Sie unternimmt lediglich den Versuch, den imaginierten Plünderer kurz und prägnant über die Unmöglichkeit seines Vorhabens aufzuklären. Das kann durchaus als Appell verstanden werden, der den Leser regelrecht herausforderte — einen Betrachter, der gleichzeitig mit dem auf dem Sarkophagdeckel ruhenden Porträt des hier bestatteten Mannes konfrontiert wurde, welcher somit als ›Sprecher‹ der in der Inschrift präsentierten Botschaft aufzufassen ist. Die schiere materielle Mächtigkeit des marmornen Deckels mag dieser Aussage zusätzlich einiges an Glaubwürdigkeit verschafft haben.

Eine letzte Bedeutungsebene, die ihr Verfasser sicher nicht eingeplant oder gar erwünscht haben dürfte, erhält die Inschrift durch den heutigen Zustand des Sarkophags. Unmittelbar unterhalb der Grabinschrift klafft nämlich ein Loch in dem Kasten, über welches sich augenscheinlich ein Grabräuber Zugang zu dem Inneren des Sarkophags verschafft hat. Trotz aller vom Grabinhaber zur Schau gestellten Selbstsicherheit hat also ein antiker Zeitgenosse die in der Inschrift ausgesprochene Herausforderung angenommen, das vermeintlich Unmögliche möglich gemacht und den Sarkophag erfolgreich geöffnet!

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zum Autor

Jon Cosme Cubas Díaz ist seit 2015 wissen­schaftlicher Mitarbeiter im Teilprojekt A01 UP2 »Spätantike Inschriftenkulturen im Imperium Romanum — zum Wandel von Kommunikationsstrukturen und Kommemorationsmedien am Ende der Antike (3.–7. Jh.)« des SFB 933. Er arbeitet an einer Dissertation zum Thema »Die spätantiken Nekropolen des Rauen Kilikien. Geschriebenes und Beschriftetes in sepulkralen Kontexten«.

Literatur

Chehab, Maurice H. (1984–1986), Fouilles de Tyr – la nécropole. Description des fouilles 2–4 (Bulletin du Musée de Beyrouth 34–36), Paris.

Jidejian, Nina (1969), Tyre Through the Ages, Beirut.

Rey-Coquais, Jean-Paul (1977), Inscriptions grecques et latines découvertes dans les fouilles de Tyr (1963–1974) I: Inscriptions de la nécropole (Bulletin du Musée de Beyrouth 29), Paris, 12–13 Nr. 17A–B.

Weitere Verweise